Ein Resümee nach sechs Jahren
Im Januar 2019 hatte ich den ersten Beitrag dieses Blogs mit der Frage “Warum Vietnam?” überschrieben. Meine Antwort bzw. Einschätzung war damals, basierend auf meinem ersten Arbeitsjahr an der DAAD-Außenstelle Hanoi: Vietnam bietet viel Potential für deutsche Hochschulen, sowohl mit Blick auf die Gewinnung talentierter Studierender als auch für die Zusammenarbeit mit vietnamesischen Hochschulpartnern. Denn die konfuzianisch geprägte Gesellschaft ist sehr bildungsbewusst, und die Hochschulen befinden sich in einer Reformphase mit dem Ziel, die Qualität in Lehre und Forschung zu verbessern.
In meinem 51. und letzten Beitrag dieses Blogs möchte ich noch einmal auf die vergangenen sechs Jahre meiner Tätigkeit in Hanoi zurückblicken, verbunden mit der Frage: Sehe ich weiterhin so viel Potential für deutsche Hochschulen für ein Engagement in Vietnam und mit vietnamesischen Partnern?
Um die Frage gleich zu beantworten: Ja, aber durchaus auch mit der einen oder anderen Einschränkung. Die vietnamesischen Hochschulen müssen und wollen sich reformieren und modernisieren. Ein wesentlicher Schritt dorthin ist eng verbunden mit der vom Ministry of Education and Training (MOET) gewünschten Autonomie der Hochschulen und den damit verbunden größeren Gestaltungsspielräumen. Etliche Hochschulen wie zum Beispiel die Hanoi University of Science and Technology (HUST) haben diese Spielräume für sich genutzt, sind inzwischen international sehr gut vernetzt, rekrutieren überwiegend im Ausland ausgebildete Hochschullehrende, verfügen über gute Kontakte zur Wirtschaft und haben es erstmals in die Top 1.000 internationaler Rankings geschafft.
Eng verbunden mit der Hochschulautonomie ist die vom MOET geforderte Qualitätssicherung an den Hochschulen, die eigene Qualitätssicherungssystem einführen und ihre Studiengänge und/oder auch die gesamte Hochschule von inländischen oder internationalen Agenturen akkreditieren lassen müssen. Gerade in den letzten rund fünf Jahren haben sehr viele Hochschulen Akkreditierungen vorgenommen. Einige deutsche Akkreditierungsagenturen sind inzwischen auf dem vietnamesischen Hochschulmarkt aktiv.
Die Verbesserung der Lehr- und Lernmethoden, weg vom klassischen Frontalunterricht mit viel Auswendiglernen und hin zu viel mehr praxisbezogenem Lernen, das auch soft skills einbezieht, ist für viele Hochschulen in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Curricula wurden und werden in Richtung von mehr Anwendungsbezug überarbeitet. Denn es geht letztlich vor allem darum, junge Studierende für einen sich rasch wandelnden Arbeitsmarkt zu qualifizieren.
Nicht nur in der Lehre, sondern auch in der Forschung entwickeln sich die vietnamesischen Hochschulen und werden dadurch für deutsche Hochschulen zu interessanten Partnern. In Forschungsgebieten wie beispielsweise Umweltwissenschaften, Klimawandel, Energie, Stadtplanung, Biodiversität oder auch Medizin können deutsche Hochschulen von Forschungskooperationen mit vietnamesischen Partnern profitieren.
Schließlich wollen und müssen sich vietnamesische Hochschulen weiter internationalisieren. Das Interesse an einer Zusammenarbeit mit internationalen Partnern und dabei insbesondere auch mit deutschen Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften hat vor allem auch nach der Pandemie eher noch zugenommen.
Das Interesse an einem Studium in Deutschland ist weiter gestiegen, im Vergleich zu meinem ersten Blogbeitrag 2019 hat die Zahl von jungen Vietnamesinnen und Vietnamesen, die zu einem Studium nach Deutschland gegangen sind, um 25 Prozent zugenommen.
All das spricht für die guten Potentiale, die deutsche Hochschulen in Vietnam zu erwarten haben. Aber es gibt auch einige Bedenken, ob diese positive Entwicklung der letzten Jahre anhält. Die mit der Hochschulautonomie verbundene rückläufige staatliche Finanzierung der Hochschulen, die nicht nur autonom, sondern auch zunehmend autark agieren sollen, ist für viele vor allem kleinere Hochschulen insbesondere in den Provinzen zu einer großen Herausforderung geworden. Viele Hochschulen sind unterfinanziert und können gutes wissenschaftliches Personal nicht mehr halten, das entweder an besser bezahlende private Hochschulen oder aber in die Industrie wechselt. Damit gehen auch Qualitätsverluste in Lehre und Forschung einher.
Erschwerend kommt hinzu, dass gerade in letzter Zeit eine wissenschaftliche Karriere nicht mehr so attraktiv erscheint, da die Gehälter an den Hochschulen nicht mehr konkurrenzfähig mit Gehältern in der Industrie sind. Immer weniger jungen Menschen promovieren oder entscheiden sich auch nur für ein Master-Studium. Auch den besten Hochschulen fehlt daher immer mehr wissenschaftlicher Nachwuchs, was sich vor allem in der Forschungszusammenarbeit negativ bemerkbar machen.
Vieles hat sich in den vergangenen sechs Jahren im vietnamesischen Hochschulsystem positiv entwickelt, das für deutsche Hochschulen vielversprechende Potentiale ermöglicht. Aber es gibt auch einschränkende Tendenzen, die die positive Entwicklung der Hochschulen durchaus gefährdet.
Zum Schluss noch ein Wort in eigener Sache: Ich werde nach sechs spannenden Jahren in Vietnam, das übrigens auch ein wunderbares Reiseland ist, meine Tätigkeit dort beenden und in die DAAD-Zentrale nach Bonn zurückkehren, wo ich ab 1. September die Leitung des Bereichs Marketing übernehmen werde. Mein Nachfolger Felix Wagenfeld (wagenfeld@daad.de) wird die Leitung der DAAD-Außenstelle Hanoi am 1. November 2023 übernehmen.
Dieses wird der vorerst letzte Beitrag in diesem Blog sein. Ich möchte mich bei Ihnen sehr herzlich für Ihr Interesse an Vietnam und an unserem Blog bedanken. Sie können mich unter hase-bergen@daad.de erreichen.
(Stefan Hase-Bergen, 20. Juni 2023)