Multidisziplinäre ''Dachuniversitäten''
Die Mehrheit der vietnamesischen Hochschulen ist bisher noch fachlich spezialisiert. So gibt es z. B. Wirtschaftsuniversitäten (Foreign Trade University, National Economics University u. a.), Hochschulen zur Ausbildung von Bauingenieuren (National University of Civil Engineering) oder eine University of Transport and Communications. Viele dieser Einrichtungen gibt es sowohl in Hanoi als auch in Ho Chi Minh-Stadt, bzw. sie haben jeweils einen Campus in beiden Städten. Multidisziplinäre Hochschulen sind dagegen bisher noch die Ausnahme unter den 235 Hochschulen in Vietnam.
Zu diesen Ausnahmen und zugleich zu den vietnamesischen Besonderheiten zählen fünf multidisziplinäre sogenannte “Dachuniversitäten”, unter deren administrativem Dach sich fachlich spezialisierte “Mitgliedshochschulen” sowie auch noch einzelne Institute befinden. Neben den beiden Vietnamesischen Nationaluniversitäten (VNU) in Hanoi (http://vnu.edu.vn/eng) und Ho Chi Minh-Stadt (https://vnuhcm.edu.vn) handelt es sich um drei regionale “Dachuniversitäten” in Thai Nguyen (für den Norden Vietnams, http://en.tnu.edu.vn), in Hue (für das nördliche Zentralvietnam, http://hueuni.edu.vn/portal/en) sowie Danang (für das südliche Zentralvietnam, http://www.udn.vn/english).
Die heutigen “Dachuniversitäten” entstanden im Zuge der ersten Hochschulreformschritte Anfang der 1990er Jahre durch den Zusammenschluss mehrerer kleiner Institutionen unter jeweils einem übergreifenden Dach. Dabei gibt die Leitung der übergeordneten “Dachuniversität” die grundsätzliche Richtung der gesamten Hochschule vor und entscheidet über die Finanzen, das Personal und die akademischen Belange wie z. B. die Einrichtung neuer Studiengänge in letzter Instanz. Das Präsidium der “Dachuniversität” steht über den Rektoraten ihrer Mitgliedshochschulen. Lehre und Forschung werden an den Mitgliedshochschulen sowie an einigen wenigen Instituten der “Dachuniversität” (z.B. School of Law, School of Graduate Studies, School of Medicine, Institute for Environment & Resources) betrieben.
Alle fünf “Dachuniversitäten” bieten ein umfassendes Fächerspektrum an und haben zudem den Auftrag, neben der Lehre auch Forschung zu betreiben. Ähnliches gilt inzwischen auch für andere Universitäten wie die Hanoi University of Science & Technology (HUST) oder die Can Tho University im Mekong-Delta. Insbesondere die beiden Nationaluniversitäten gelten zusammen mit wenigen weiteren Hochschulen zu den forschungsstärksten in Vietnam. Die Aufwertung des Forschungsauftrages an den Universitäten hat u. a. dazu geführt, dass in diesem Jahr beide Nationaluniversitäten erstmals im QS-Ranking unter den Top 1.000 und im THE-Ranking die VNU Hanoi ebenfalls in den Top 1.000 und die VNU HCM unter den 1.000+ gelistet sind. Dies wurde in Vietnam als großer Erfolg gefeiert.
Die beiden Nationaluniversitäten unterstehen direkt dem Ministerpräsidenten (und nicht dem Ministry of Education & Training, MoET). Sie haben als “Dachuniversitäten” eine höhere Autonomie und verfügen über deutlich umfassendere Budgets als andere vietnamesische Hochschulen. Mit diesen Privilegien sollen sie ihre Schlüsselposition als erste Universitäten des Landes wahrnehmen und ausfüllen. Zu den jeweils sieben Mitgliedshochschulen der beiden Nationaluniversitäten zählen u. a. eine University of Science, eine University of Engineering & Technology, eine University of Economics & Law oder eine University of Social Sciences & Humanities.
Die drei Regionaluniversitäten haben eine ähnliche Struktur und sind auch in ihrer Größe vergleichbar mit den beiden Nationaluniversitäten: Die Thai Nguyen-University ist mit rund 65.000 Studierenden, verteilt auf sieben Mitgliedshochschulen und Fakultäten, die größte Hochschule in Vietnam, gefolgt von der VNU in Ho Chi Minh-Stadt mit rund 60.000 Studierenden. In Hue studieren an acht Mitgliedshochschulen und Fakultäten rund 50.000 Studierende. In Danang (fünf Mitgliedshochschulen) und an der VNU Hanoi sind es 43.000 bzw. 37.000 Studierende.
Ein wesentlicher Unterschied ist aber, dass sie dem MoET und nicht direkt dem Ministerpräsidenten unterstehen, wodurch sie über weniger Privilegien in Sachen Finanzierung oder Autonomie im Vergleich zu den beiden Nationaluniversitäten verfügen.
Zur Stärkung der Hochschullandschaft in Zentralvietnam gibt es Pläne, die regionale University of Danang zur dritten Nationaluniversität aufzuwerten. Die University of Danang, die leider durch die Dominanz der Hochschulen in Hanoi und Ho Chi Minh-Stadt von deutschen Hochschulen zu Unrecht leicht übersehen wird, zählt zu den auch in der Forschung besonders leistungsstarken Universitäten in Vietnam.
Durch ihre herausgehobene Stellung, die sich durchaus auf ihre Leistungsstärke positiv auswirkt, sind alle fünf “Dachuniversitäten” sehr gut geeignete Partner für deutsche Hochschulen. Die beiden forschungsstarken Nationaluniversitäten haben dabei schon viele internationale Partner, auch in Deutschland. Weniger bekannt sind bei den deutschen Hochschulen die drei Regionaluniversitäten, auch wenn es vereinzelt (Thai Nguyen University of Agriculture & Forestry, Hue University of Medicine & Pharmacy) bereits erfolgreiche Hochschulkooperationen gibt. Für die deutschen Hochschulen, die enger mit vietnamesischen Universitäten zusammenarbeiten wollen, ist es empfehlenswert, diese Hochschulen in den Blick zu nehmen.
(Stefan Hase-Bergen, 26. September 2019)