Studienangebote für deutsche Studierende in Vietnam
Die vietnamesischen Hochschulen befinden sich in einem von der Regierung gewollten und unterstützten Reformprozess, da diese erkannt hat, dass die für die nötige gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung erforderlichen Personalressourcen im bisherigen Hochschulsystem nicht adäquat ausgebildet werden können. Die Hochschulen waren jahrzehntelang reine Lehranstalten, die den zu theorielastigen Stoff mit veralteten Lehrmethoden im Frontalunterricht vermittelten. Forschung spielte an den Universitäten kaum eine Rolle, zumal die Lehrkräfte, die überwiegend nur einem Bachelor- oder Masterabschluss vorwiesen, gar nicht forschen konnten und wollten. Alle Hochschulen wurden vom jeweils übergeordneten Ministerium geleitet und kontrolliert, in der großen Mehrheit vom Ministry of Education and Training (MoET). Internationale Kontakte gab es nur zu ähnlich funktionierenden Hochschulsystem, v.a. zu Russland, der DDR und anderen Staaten des früheren Ostblocks sowie teilweise zu Staaten in Asien.
Im heutigen Reformprozess ist ein wichtiges Ziel, den Hochschulen mehr Autonomie zu gewähren, was zugleich aber zu einer deutlichen Kürzung der staatlichen Grundfinanzierung führt. Hochschulen sollen also nicht nur autonom, sondern auch autark agieren, was viele Hochschulen in finanzielle Bedrängnis bringt. Qualitätssicherung und Akkreditierung, Forschung, Praxisorientierung und neue Lehr- und Lernmethoden (z.B. Lerner- statt Lehrerzentrierung) sind inhaltliche Reformziele, die vor allem auch mit internationaler Unterstützung und Zusammenarbeit erreicht werden sollen. Internationalisierung als Instrument der qualitativen Verbesserung des Hochschulsystems wird als wesentlicher Schritt gesehen. Internationale und damit auch deutsche Hochschulen (und zwar momentan alle Hochschulen und nicht nur die in den internationalen Rankings) werden mit offenen Armen empfangen.
Die ersten Hochschulreformen wurden bereits vor über 15 Jahren eingeleitet, und ein wichtiger Schritt war dabei die Einführung sogenannter “Advanced Programmes” durch das MoET im Jahr 2006. Ausgewählte vietnamesische Hochschulen konnten von international renommierten Hochschulen vor allem in den USA Studienprogramme und Curricula vollständig übernehmen und einführen. Diese Programme sollten, mit Unterstützung der Partnerhochschulen, auf Englisch unterrichtet werden. Damit sollten die veralteten Curricula an vietnamesischen Hochschulen beispielhaft modernisiert werden; Personal sollte nach internationalen Standards mit ausreichenden englischen Sprachkenntnissen für den sich wandelnden und zunehmend internationaler werdenden Arbeitsmarkt ausgebildet werden; und für die wachsende Mittelklasse sollten im Land internationale Studienprogramme an vietnamesischen Hochschulen angeboten werden.
Bis 2009 waren pilotweise 34 Programme eingerichtet worden, die “Advanced Programmes” liefen durchaus erfolgreich an. Inzwischen gibt es sehr viel mehr solcher Programme, die den Hochschulen auch ermöglichen, erheblich höhere Studiengebühren zu verlangen und so ihre teilweise schwierige Finanzlage etwas zu verbessern. Aber nun gibt es auch zunehmend Kritik an diesen Programmen und vor allem daran, dass der neo-koloniale Ansatz importierter Studienprogramme nicht zu einer Internationalisierung der Curricula führt und die vereinzelten Programme isoliert bleiben. Die hohen sprachlichen Zulassungsvoraussetzungen in Englisch sowie auch die hohen Studiengebühren führten dazu, dass manche Programme nicht genügend Studierende bekamen. Auch trafen die importierten und zumeist nicht an die vietnamesischen Bedürfnisse angepassten Programme oft nicht den vietnamesischen Ausbildungsbedarf. Schließlich war es auch nicht immer einfach, entsprechend ausgebildete und gut Englisch sprechende Lehrkräfte zu finden, zumal die internationalen Partnerhochschulen nicht dauerhaft eigene Lehrkräfte zur Verfügung stellen konnten.
Aber die “Advanced Programmes” hatten einen wichtigen Impuls zur Bildung englischsprachiger Curricula mit internationalen Standards sowie auch ein Bewusstsein für neue moderne Lehr- und Lernmethoden vermittelt. Immer mehr vietnamesische Hochschulen bieten nun solche Programme an, die oft von aus dem Ausland zurückgekehrten Lehrkräften unterrichtet werden.
Ein ursprünglich nicht angedachter Effekt dieser internationalen Programme ist ein weiteres und relativ neues Internationalisierungsziel vietnamesischer Hochschulen, nämlich die Gewinnung internationaler Studierender. Derartige englischsprachige Programme bieten auch deutschen Studierenden die Möglichkeit zu einem gewinnbringenden Studienaufenthalt in Vietnam. So studieren beispielsweise momentan an der Hanoi University of Science & Technology etliche Studierende aus verschiedenen deutschen Hochschulen Fächer wie Elektrotechnik, Ingenieurwissenschaften, Chemie oder IT und sind sowohl von den Inhalten wie auch von der Ausstattung positiv überrascht.
Für deutsche Hochschulen bieten sich daher im Rahmen von Hochschulkooperationen nun auch gute Möglichkeiten, den eigenen Studierenden mit Vietnam ein neues und interessantes Land für einen Studienaufenthalt anzubieten, das über die immer besser werdenden Studienangeboten hinaus auch als Reiseland sehr attraktiv ist.
(Stefan Hase-Bergen, 21. Oktober 2022)
Stefan Hase-Bergen
Leiter der DAAD-Außenstelle Hanoi
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