Myanmar - Vortäuschung von Normalität
Fast vier Monate nach dem Militärputsch am 1. Februar 2021 lässt der aktive Widerstand im Volk langsam nach. Zwar gibt es weiterhin Demonstrationen, doch beteiligen sich nicht mehr so viele Menschen wie noch zu Beginn an der Civil Disobedience Movement (CDM). Der Terror des Militärs, die Einschüchterungen, die über 800 Toten, die Verhaftungen und Folterungen haben – erfolgreich – ein Klima der Angst geschaffen. Zudem sind viele Anführerinnen und Anführer der CDM ermordet oder verhaftet worden, oder sie leben nun im Untergrund bzw. haben sich einer Verhaftung durch Flucht entzogen.
Eine immer wichtigere Rolle für den Widerstand spielen indes die Gebiete der ethnischen Minderheiten, auf die das Militär noch keinen Zugriff hat. Viele bewaffnete Gruppen dieser Minderheiten kämpfen seit Jahren für ihre Unabhängigkeit oder zumindest mehr Autonomie. Diesen paramilitärischen Einheiten haben sich junge Menschen, darunter auch Studierende, angeschlossen, um sich an der Waffe ausbilden zu lassen. Die für sie frustrierende Erkenntnis, mit dem gewaltlosen Widerstand nichts gegen das schwer bewaffnete und zu exzessiver Gewalt bereite Militär ausrichten zu können, lässt sie nun selbst zu den Waffen greifen und treibt sie in den gewaltsamen Widerstand.
Währenddessen hat sich mit dem National Unity Government (NUG) eine Gegenregierung gebildet, die aus im November 2020 gewählten Vertretern besteht. Sie verkündete die Bildung einer “People´s Defense Force”, die sich zusammen mit Widerstandskämpfern und den Kämpfern aus ethnischen Minderheiten gegen Angriffe des Militärs wehren möchte. Allerdings ist das Tatmadaw, so der Name des Militärs, mit seinen rund 400.000 gut ausgebildeten Soldaten gegenüber den geschätzten 75.000 – 100.000 Soldaten der Minderheiten deutlich überlegen.
Den Posten des Bildungsministers in der NUG bekleidet Dr. Zaw Wai Soe, der frühere Vorsitzende der Rektorenkonferenz in Myanmar und ehemalige Rektor der University of Medicine 1 in Yangon. Er verkündete, dass die NUG einen University Interim Administrative Council gebildet habe, dem sich 53 Hochschulen angeschlossen hätten. Man wolle einen Übergangsplan für Hochschulen entwickeln, damit diese möglichst rasch wieder unterrichten können. Langfristig sei ein dezentraler organisiertes Bildungssystem, das den Minderheiten deutlich mehr Mitsprache gewähre, das Ziel.
In der Zwischenzeit hat das Militär beschlossen, die Hochschulen, die wegen der Pandemie über ein Jahr geschlossen waren, wieder teilweise zu öffnen. Bachelor-Studierende im letzten Jahr, Master-Studierende und Doktoranden dürfen seit dem 6. Mai wieder Kurse an den Universitäten besuchen. Dabei ignoriert das Militär vollständig, dass sich das Corona-Virus weiterhin in Myanmar ausbreitet und zu vielen Erkrankungen und auch Todesfällen führt. Aber es wird nun kaum noch getestet, und entsprechend niedrig sind die neu gemeldeten Corona-Fälle. Auf diese Weise möchte das Militär Normalität suggerieren und die Bevölkerung für sich gewinnen.
Allerdings wurden nach Angaben des Committee of the University Teacher’s Association zwischen 11.000 und 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hochschulen zwischenzeitlich suspendiert. Wenn diese Angaben stimmen, wären das knapp die Hälfte des gesamten Lehr- und Forschungspersonals an den Hochschulen Myanmars. Zudem gibt es viele Hochschullehrende, die sich nicht offiziell der CDM angeschlossen haben, von CDM-Mitgliedern dafür öffentlich geächtet werden und nicht mehr an die Hochschulen zur Arbeit kommen. Dazu kommt noch eine weitere große Gruppe, die aus Angst um ihre Familien und sich selbst sowie aus Sorge um ihre Studierenden einen gemäßigten Weg einschlagen wollen, aber auch nicht dem Militär zugerechnet werden können. Schließlich arbeiten auch an den Hochschulen Menschen, die das Militär unterstützen. In einer solchen zerrissenen und emotional hoch aufgeladenen Situation ist eine Rückkehr zu Normalität und einem geregelten Unterricht kaum möglich, zumal auch sehr viele Studierende getötet, verhaftet oder auf der Flucht sind oder sich weigern, an die Hochschulen zurückzukehren.
Auch die dramatische Wirtschaftslage seit dem Putsch, in der nun viele Menschen um ihre Existenz kämpfen müssen, lässt eine Rückkehr zu Normalität als Illusion erscheinen.
Der DAAD hat mit dem “Hilde Domin-Programm” seit April 2021 ein neues Stipendienprogramm aufgelegt, das bedrohten Studierenden und Promovierenden, denen in ihrem Herkunftsland das Recht auf Bildung verweigert wird, die Aufnahme oder Fortführung eines Studiums in Deutschland ermöglichen soll. Das trifft aktuell auf viele Studierende in Myanmar zu. Betroffene können sich aber nicht selbst bewerben, sondern müssen von einer in Deutschland ansässigen Institution, zum Beispiel einer Hochschule, vorgeschlagen werden. Weitere Informationen dazu finden Sie unter Neues Stipendienprogramm für bedrohte Studierende und Promovierende – DAAD.
Für die nähere Zukunft ist mehr als fraglich, ob Myanmar zu einer demokratisch gewählten Regierung zurückkehren kann, wie es die NUG anstrebt. Immer mehr zeichnet sich ab, dass das Militär die Macht nicht nur mit Gewalt übernommen hat, sondern sie auch mit eben all dieser Gewalt auf lange Sicht erfolgreich verteidigen will und wird. Darauf wird man sich einstellen müssen.
Für deutsche Hochschulen und vor allem ihre Projekte mit Partnern in Myanmar stellt sich damit die Frage, wie mit dieser neuen Situation umzugehen ist. Reisen nach Myanmar sind momentan und wohl auch noch auf längere Sicht kaum möglich. Da die Pässe vieler Studierender und Lehrender in ihren jeweiligen Einheiten deponiert sind oder sie keine besitzen, sind Ausreisen aus Myanmar hochproblematisch und bedeuten vor allem für Unterstützende der CDM auch eine Gefährdung ihrer Familienangehörigen. Es ist momentan ebenfalls kaum möglich, Gelder nach Myanmar zu transferieren, da auch die Banken nicht mehr regulär arbeiten können und unter strenger Militärkontrolle stehen. Das Internet funktioniert nur noch eingeschränkt und wird ebenfalls kontrolliert. Aber die Menschen in Myanmar, ob nun im aktiven oder passiven Widerstand, benötigen Rückendeckung , Unterstützung und Solidarität, indem zum Beispiel deutsche Hochschulen die Kontakte und Gesprächskanäle offenhalten, Gesprächsbereitschaft zeigen sowie die wenigen Möglichkeiten zur weiteren Zusammenarbeit nutzen. Die Militärmachthaber zielen auf internationale Abschottung zum demokratischen Westen ab. Die Menschen vor allem an den Hochschulen aber wünschen sich weiterhin internationalen Austausch und eine Zusammenarbeit mit ihren Partnern auch und gerade in Deutschland!
(Stefan Hase-Bergen, 26. Mai 2021)